Insolvenzanfechtung: Kein Rückgewähranspruch im eröffneten Verfahren, wenn die Rückführung bereits vorab erfolgte

Rückführung in der Insolvenz

Insolvenzverwalter können durch das Anfechtungsrecht einen Rückgewähranspruch auf Zahlungen eines Schuldners, die im Vorfeld einer Insolvenz erfolgten, geltend machen. Sie können entsprechend Geld von einem Gläubiger zurückfordern, da andernfalls eine Ungleichbehandlung der anderen Gläubiger zu befürchten ist. Doch erfolgt eine rechtmäßige Befriedigung dieses Anspruchs bereits vorab, erlischt er im eröffneten Verfahren. Dazu muss die vorweggenommene Befriedigung die objektive Vermögenslage wiederherstellen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich entschied.

Was ist eine Insolvenzanfechtung?

Die Insolvenzanfechtung bietet einem Insolvenzverwalter ein Instrument, um Zahlungen, die ein Gläubiger von einem mittlerweile insolventen Unternehmen erhalten hat, zurückzufordern. Das juristische Instrument dient dazu, die Bevorzugung einzelner Gläubiger zu verhindern beziehungsweise rückgängig zu machen. Kurz bevor ein Insolvenzverfahren unvermeidlich wird, versuchen unter Druck stehende Schuldner oft, bestimmte Gläubiger vorrangig zu bezahlen. Dadurch schmälert sich die spätere Insolvenzmasse und somit die Mittel, mit denen die Gesamtheit der Gläubiger befriedigt werden kann. Um hier eine Benachteiligung zu verhindern, muss der Insolvenzverwalter bestimmte Zahlungen anfechten.

Die Ausgangslage – Sachwalter fordert Steuerzahlungen zurück

Im betrachteten Fall geht es um ein Unternehmen, das 2017 eine Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt hatte. Das zuständige Insolvenzgericht gab dieser statt, ordnete die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte einen vorläufigen Sachwalter. Letzterer ist hier auch der Kläger.

Das kriselnde Unternehmen leistete im Antragsverfahren an das Land – unter dem Vorbehalt einer späteren Insolvenzanfechtung – acht Steuerzahlungen in Höhe von mehr als 700.000 Euro. Nach Eröffnung der Insolvenz wurde dann tatsächlich ein Anfechtungsanspruch erhoben. Darauf zahlte das Land weit über 500.000 Euro zurück – aber nicht die gesamte Summe. Es hatte nur einen Teilbetrag überwiesen, da bereits im Antragsverfahren eine Rückzahlung an das Schuldner-Unternehmen erfolgt war. Hiermit war ein Steuererstattungsanspruch erfüllt worden, der aus einer Überzahlung aus drei der angefochtenen Steuerzahlungen des Unternehmens resultierte. Das Land war der Auffassung, dass es mit dieser Rückzahlung bereits den entsprechenden Teil der Ansprüche des insolventen Unternehmens befriedigt hätte. Der Sachwalter sah dies nicht so und klagte auf gänzliche Rückerstattung der über 700.000 angefochtenen Euro.

Die erste Instanz, das Landgericht, hatte die Klage mangels objektiver Gläubigerbenachteiligung abgewiesen. Das Berufungsgericht hatte das Land jedoch antragsgemäß verurteilt. Zuletzt kam es zur Revision am Bundesgerichtshof. Hierbei wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Entscheidung des Landgerichts wiederhergestellt.

 

Wie hatte der Bundesgerichtshof argumentiert?

Nach Auffassung des BGH scheitere der Rückgewähranspruch an einer fehlenden Gläubigerbenachteiligung gemäß § 129 InsO. In der Rückzahlung des Landes während der vorläufigen Insolvenz sei bereits eine vorweggenommene Befriedigung des Rückgewähranspruchs zu sehen. Die vorinsolvenzliche Rückführung des anfechtbaren Wertes könne den Anfechtungsanspruch, der in der Regel erst mit Eröffnung des Verfahrens entsteht, verhindern. In diesem Fall werde eine einmal eingetretene Gläubigerbenachteiligung rückgängig gemacht. Nimmt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung deren Rückführung vorweg, soll er nicht doppelt zur Rückgewähr verpflichtet sein – auch wenn der Rückgewähranspruch erst mit Eröffnung des Verfahrens entsteht.

Entscheidend sei, diejenige Vermögenslage zu schaffen, die nach der Insolvenzanfechtung nach Verfahrenseröffnung geschaffen werden müsse. Ob der Anfechtungsgegner dabei von der Anfechtbarkeit wisse, sei nicht relevant. Mit der Befriedigung vorab dürfe allerdings keine sonstige, andere Forderung des Schuldners beglichen werden, die im eröffneten Verfahren einen eigenen Vermögenswert darstellt. Es darf sich also nicht um eine Forderung handeln, die neben dem Rückgewähranspruch durchgesetzt werden könnte.

Die objektive Vermögenslage zählt

Der BGH erklärte zudem, dass es unerheblich sei, dass der Leistungsempfänger mit der Rückgewähr eigentlich einen anderen Anspruch des Schuldners tilgen wollte, der auf dieselbe Leistung gerichtet war. Was zählt, sei die objektive Vermögenslage, die durch die Tilgung entsteht. Ein und dieselbe Leistung könne nur einmal zurückverlangt werden. Das gilt, wenn beide Ansprüche aus dem gleichen Lebenssachverhalt stammten und sich auf ein und dieselbe Leistung bezögen. Es bestehe hier materielle und rechtliche Deckungsgleichheit zwischen den Ansprüchen.

Im vorliegenden Fall ergab sich der erfüllte Erstattungsanspruch aus einer Überzahlung, die durch drei der angefochtenen acht Steuerzahlungen an das Land entstanden war. Der Rückgewähranspruch aus der Insolvenzordnung und der Erstattungsanspruch aus der Abgabenordnung seien hier deckungsgleich gewesen. Sie hätten im eröffneten Verfahren nicht gemeinsam durchgesetzt werden können. Dadurch war mit der Zahlung die Vermögenslage hergestellt worden, die nach der Insolvenzordnung im eröffneten Verfahren hergestellt werden muss.

Nicht jede Vorab-Befriedigung ist auch eine Rückgewähr

Die Entscheidung des BGH ist nachvollziehbar und praxisnah. Denn Anfechtungs- und Erstattungsanspruch resultierten aus ein und demselben Sachverhalt. Es gab keinen sonstigen rechtlichen Anspruch des Schuldners, der mit der vorweggenommenen Zahlung hätte erfüllt werden können. Die Insolvenzanfechtung soll die Insolvenzmasse stärken und die Bevorteilung eines Teils der Gläubiger und Benachteiligung eines anderen Teils verhindern. Ist diese Aufgabe objektiv erfüllt, sollte auch eine zusätzliche Rückforderung verhindert werden.

Anders liegt der Fall, wenn eine Rückzahlung auf eine anfechtbare Überweisung in bar erfolgt. Durch den deutlich schlechteren Gläubigerzugriff und die erhöhte Verschleierungsgefahr reicht sie nicht aus, um den Rückgewähranspruch zu befriedigen. Dies hatte ein weiteres Urteil des BGH aus dem Jahr 2019 gezeigt. Hier hatte eine Tochtergesellschaft eine anfechtbare Einlageverpflichtung gezahlt. Der erhaltene Betrag wurde ihr von der Mutter jedoch sofort wieder zugewandt, um eine eigene Verpflichtung gegenüber dem Tochterunternehmen zu befriedigen. Der Insolvenzverwalter sah darin keine vorweggenommene Befriedigung des Rückgewähranspruchs und keine Beseitigung der Gläubigerbenachteiligung. Der BGH gab ihm Recht und verpflichtete die Muttergesellschaft zur erneuten Zahlung des anfechtbaren Betrages nach der Insolvenzeröffnung.

Sie möchten mehr erfahren? Fragen Sie den Insolvenzexperten:

Dr. Nils Freudenberg

Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter

Tel.: +49 351 477 82 28

E-Mail: freudenberg@tiefenbacher.de

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